10. Juli - Die Bilanz

Dissens muss sichtbar sein

Zuletzt aktualisiert um:
Bearbeitet von Grenzgenial
2,6 ns.
Klasse Grenzgenialist
Foto: dpa

G 20-Staaten benennen beim Klimaschutz ausdrücklich Interessenunterschiede / Merkel dennoch zufrieden

HAMBURG „Da, wo es keinen Konsens gibt, muss auch der Dissens sichtbar werden.“ Der Vorstoß von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf der abschließenden Pressekonferenz des G 20-Gipfels klang ein bisschen nach einer Offensive für mehr Ehrlichkeit. Tatsächlich waren die Teilnehmer aufrichtig genug, die Unstimmigkeiten mit den USA beim Klimaschutz nicht zuzukleistern. Dissens als Element der G20- Schlusserklärung – das ist bislang einmalig.

Washingtons Ankündigung, aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen und wieder verstärkt auf fossile Energieträger zu setzen und diese auch in andere Länder zu exportieren, hat also Bestand. Alle übrigen G 20-Mitglieder halten an ihren Bestrebungen fest, die Erderwärmung zu drosseln – allen taktischen Winkelzügen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zum Trotz.

Er will das Abkommen erst vom Parlament ratifizieren lassen, wenn definitiv klar ist, dass die Türkei im Rahmen der Pariser Übereinkunft nicht als Industrie- sondern als Entwicklungsland eingestuft wird. Die Haltung ist nicht neu. Denn von der Einstufung hängt ab, ob Ankara Geld für Klimaschutzmaßnahmen in einen Umweltfonds einzahlen muss, oder aber selbst Geld bekommt.

Das Beispiel Erdogan’scher Taktik zeigt einmal mehr, wie fragil das Gerüst der Gemeinsamkeiten bei den G 20 ist – und wie es um die neue Ehrlichkeit bestellt ist. Ist die in der Präambel des Schlusskommuniqués festgehaltene Einsicht „Durch gemeinsames Handeln können wir mehr erreichen als allein“ das Papier nicht wert, auf dem sie steht? Gastgeberin Merkel ist es durchaus gelungen, einige Kompromisse zu schmieden. Den großen Wurf gab es aber nicht. Eine Übersicht der wichtigsten Beschlüsse:

TERRORISMUS Die G20-Mitglieder haben vereinbart, gemeinsam verstärkt gegen Terrorfinanzierung und Propaganda im Internet vorzugehen sowie Verdächtigen Kommunikationswege zu verbauen. Der Kampf gegen die Geldwäsche von Terroristen oder für einen besseren Informationsaustausch der Ermittler ist aber- nicht neu – die Umsetzung erfolgt bis heute schleppend.

DIGITALISIERUNG „Der digitale Wandel ist eine Triebkraft des globalen, innovativen, inklusiven und nachhaltigen Wachstums“, klingt es in der Gipfelerklärung vollmundig. Digitalisierung könne dazu beitragen, Ungleichheiten abzubauen. Alle Bürger der G 20- Länder sollen deshalb bis 2025 „digital eingebunden“ sein. Dabei wollen die Staaten auf Verbraucherschutz, Datenschutz sowie die Einhaltung von Eigentumsrechten achten. Um die Beschäftigung anzukurbeln setzen die G 20-Staaten darauf, Menschen für die digitale Zukunft der Arbeitswelt fortzubilden.

FLÜCHTLINGE Im Kampf gegen Schleuser und Menschenhändler geht es nicht so voran, wie es sich die EU gewünscht hatte. Es gibt lediglich vage Ankündigungen „Maßnahmen“ zu ergreifen. Der Vorschlag, UN-Sanktionen wie Reiseverbote und Vermögenssperren gegen Schleuser und Menschenhändler zu verhängen, sind am Widerstand von China und Russland gescheitert.

GESUNDHEIT Die G20 bekräftigten ihren Einsatz zur Stärkung der Gesundheitssysteme weltweit und den Zugang zu „erschwinglichen, hochwertigen Antibiotika, Impfstoffen und Diagnostika“ – jedoch ohne finanzielle Zusagen zu machen.

AFRIKA Die G20 wollen die Beschäftigung von Frauen und Jugendlichen fördern, um so Armut und Ungleichheit als Ursachen von Migration zu bekämpfen. So wird der Fonds zur Förderung von Frauen in Entwicklungsländern weiter aufgestockt; er umfasst in- zwischen rund 325 Millionen Dollar (291 Millionen Euro), von denen Deutschland rund 50 Millionen beisteuert. Hilfswerke zeigten sich enttäuscht. Misereor sprach von einer „vertanen Chance“.