1955-1973 - Gymnasium

Normalisierung und Gegenstätze

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Klasse Gymn. Oberstufe
Deutsches Gymnasium Nordschleswig ca. 1960 Foto: Deutsches Museum Nordschleswig

Konsolidierung des Minderheitenlebens

Die Bonn-Kopenhagener Erklärungen hatten einen Schlussstrich unter den bisherigen Grenzkampf gesetzt. Zwar verbesserten sich die Beziehungen zwischen Deutschen und Dänen vor Ort nicht schlagartig, doch das in den Erklärungen festgelegte Gesinnungs- bzw. Bekenntnisprinzip hatte eine neue Grundlage geschaffen, welche den Angehörigen der Minderheiten weitere Rechtfertigungen für ihre Gesinnung ersparte. Seither darf die nationale Gesinnung von Behörden weder überprüft noch in Zweifel gezogen werden.

Das volle Examensrecht und die wechselseitige Anerkennung von Schulabschlüssen ermöglichten zudem, dass wieder ein Deutsches Gymnasium für Nordschleswig aufgebaut werden konnte. 1959 nahm es seinen Lehrbetrieb auf und entwickelte sich zunehmend zu einer wichtigen Institution für die Minderheit. Die Zahl der deutschen Grundschulen, deren Abschlüsse nun ebenfalls beiderseits der Grenze anerkannt wurden, stieg auf 30.

Übersicht der Schüler*innen und der deutschen Schulen Nordschleswig inkl. Gymnasium und Nachschule Foto: Deutsches Museum Nordschleswig

Im Grenzland selbst wurde der deutsch-dänische Dialog allmählich immer weiter ausgebaut, und das deutsch-dänische Verhältnis normalisierte sich auch hier zusehends. Immer häufiger wurde die Lösung der Minderheitenfrage, wie man sie mit den Bonn-Kopenhagener Erklärungen erreicht hatte, unter dem Schlagwort ”Schleswigsches Modell” als vorbildhaft angesehen.

 

Immer engere deutsch-dänische Beziehungen

Die Grenzfrage war endgültig geklärt, zudem arbeiteten Dänemark und die junge Bundesrepublik Deutschland fortan immer enger zusammen. 1955 war Westdeutschland Mitglied der NATO geworden und verankerte sich ebenso wie Dänemark unter den Vorzeichen des Kalten Krieges immer fester im westlichen demokratischen Lager.

Das deutsch-dänische Verhältnis wurde immer besser. Dies beschleunigte sich noch einmal, als 1969 Willy Brandt als erster Sozialdemokrat deutscher Bundeskanzler wurde. Zum einen hatte der vormalige Regierende Bürgermeister von Berlin (West) und Bundesaußenminister (1966-69) ausgezeichnete Beziehungen zur dänischen Schwesterpartei, die seit 1929 die allermeisten Regierungen im Königreich geführt hatte. Zum anderen hatte der gebürtige Lübecker viele enge Verbindungen nach Norden, seit er während der NS-Gewaltherrschaft in Norwegen und ab 1940 in Schweden im Exil gelebt hatte. Auch seine Ehefrau Rut war Norwegerin.

Ein Zeichen einer neuen Zeit der deutsch-dänischen Beziehungen waren gemeinsame Kundgebungen des Bundeskanzlers und des dänischen Ministerpräsidenten Jens Otto Krag am 13. Mai 1972 in Apenrade und Flensburg. Auch die Minderheiten wurden dabei berücksichtigt und erhielten in beiden Ländern positive Aufmerksamkeit.

Auf dem Weg in ein gemeinsames Europa

Dänemark trat 1972/73 der Europäischen Gemeinschaft bei. Dadurch wurden Grenzverkehr und Grenzhandel deutlich erleichtert. Trotz der bis dahin bestehenden Zollordnungen war der Grenzhandel immer stärker geworden. In den Grenzorten entstanden zahlreiche auf deutsche Kundschaft ausgerichtete Einkaufsmärkte. So wurde das mit dem Schiff von Flensburg gut erreichbare Kollund Ziel zahlreicher „Butterfahrten“.

Die dänische Hochsteuerpolitik sorgte indessen dafür, dass Deutschland für viele Dänen als Einkaufsland immer interessanter wurde; vor allem Genussmittel wurden in Dänemark immer teurer und der Einkauf derselben in Deutschland immer attraktiver. Da die Flensburger Förde als internationales Gewässer deklariert ist, kamen nationale Zollbestimmungen bei der Schifffahrt nur begrenzt zu Gültigkeit. Aus den vor allem für Deutsche interessanten „Butterdampfern“ wurden nun vor allem für Dänen interessante „Spritbåde“.

Erleichtert wurden sowohl der Handel als auch überhaupt die Verbesserung des deutsch-dänischen Verhältnisses einschließlich der Anerkennung der Minderheiten dadurch, dass sich in beiden Ländern ein bis dahin ungeahntes Wohlstandsniveau entwickelte. Dieses Wachstum hielt - nur kurzzeitig durch aus heutiger Sicht kleinere Wirtschaftskrisen getrübt - bis Anfang der 1970er Jahre an. Bis sich ein grenzüberschreitendes Gemeinschafts- oder wenigstens Verantwortungsgefühl und ein europäisches Bewusstsein zu entwickeln begannen, sollte es allerdings noch einige Zeit dauern.

 

Neue Herausforderungen für die Minderheit

Zwar war es der Entwicklung in der Region förderlich, dass es ruhiger um die Minderheiten wurde. Aber auf der anderen Seite nahm das Interesse an der besonderen nationalen Gesinnung bei immer mehr Nordschleswigern ab. In den 1960er Jahren wurde die Jugend in den westlichen Ländern allmählich selbstbewusster. Es gab auch dank des steigenden Wohlstands viele neue Entwicklungsmöglichkeiten und viel mehr Freizeit zur Selbstgestaltung. Zudem konnten die jungen Menschen - und nicht nur diese - sich immer besser über die Zustände im eigenen Land und in der Welt informieren.

Die nationale Gesinnung war nicht mehr der dominierende Identitätsfaktor. Vor allem waren junge Menschen nicht bereit, sich zu Außenseitern in der Gesellschaft vor Ort zu machen, was die Zugehörigkeit zur Minderheit mit sich führen konnte - beispielsweise, wenn man nicht auf die gleiche Schule ging wie die Nachbarskinder. Die Zahl der deutschen Schüler sank, es kam bald zu ersten Schließungen deutscher Schulen.

1964 reichten die 9200 Stimmen für Slesvigsk Parti nicht mehr, um das Mandat im Folketing aufrechtzuerhalten. Die dänische Regierung war jedoch ebenso wie die Angehörigen der Volksgruppe selbst weiterhin daran interessiert, dass die deutschen Nordschleswiger in Kopenhagen vertreten waren. Deshalb wurde im Mai 1965 bei der Staatskanzlei des dänischen Regierungschefs (Staatsministerium) ein Kontaktausschuss für die deutsche Minderheit eingerichtet, um ständig im Gespräch bleiben zu können.

Die Grundlagen für die deutsche Minderheit in Nordschleswig blieben jedoch bestehen. Eine besondere Rolle hatte immer die Bibliothekszusammenarbeit auch über die Grenze hinweg bedeutet. 1967 konnte man die Deutsche Zentralbücherei für Nordschleswig in Apenrade einweihen, die in enger Kooperation mit den kleineren deutschen Büchereien im Landesteil eine wichtige Funktion als zentrale Kulturinstitution für die gesamte Volksgruppe wahrnimmt.

Dänisches Königshaus zu Besuch bei der deutschen Minderheit 1986 Foto: Deutsches Museum Nordschleswig

Ab 1972 wurde der Deutsche Tag, neben dem Knivsbergfest die zweite zentrale jährliche Festveranstaltung, immer in Tingleff abgehalten. Mit der Anstellung Peter Iver Johannsens als Generalsekretär in der Nachfolge des aus der NS-Zeit vorbelasteten Rudolf Stehr wurde zudem ein Generationswechsel in der Führung der deutschen Minderheit eingeleitet.