2020 Schleswig - Gymnasium

Nordschleswig und die Nordschleswiger

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Foto: Deutsches Museum Sonderburg

(Nord-)Schleswig: Was ist das eigentlich?


Unsere Geschichtsschreibung - auch jene in unseren Schulbüchern - ist meist sehr stark von der Perspektive der heute bestehenden Nationalstaaten geprägt. Dabei wird zum einen oft übersehen, dass die Deutung ein und derselben Ereignisse und Entwicklungen aus unterschiedlichen nationalen Blickwinkeln sehr unterschiedlich sein kann. Zum anderen bleibt dabei oft unberücksichtigt, dass verschiedene Regionen in einem Staat sehr unterschiedliche Geschichten haben können.

In Dänemark gilt dies in besonderem Maße für den südwestlichen Landesteil zwischen deutscher Grenze und dem Flüsschen Königsau (Kongeåen), an der schmalsten Stelle der Kimbrischen Halbinsel zwischen Nordsee und Ostsee. Natürlich haben auch andere Regionen durch besondere Ereignisse vor Ort eine eigenständige Geschichte. Doch diese Region unterscheidet sich auch in Bezug auf die übergeordnete politische Geschichte markant vom übrigen Dänemark.

Die Grenzen des Herzogtums Schleswig und der heutigen Deutsch-Dänischen Grenze Foto: Deutsches Museum Nordschleswig

Eigenständige Geschichte

Zwar wissen wir durch archäologische Funde wie z.B. die heute „Æ Vold“ genannte Wallanlage, dass es in diesem Gebiet in früheren Zeiten Konflikte zwischen rivalisierenden Gruppen gegeben haben muss. Aber so weit schriftliche Quellen zurückreichen (bis ins 9. Jahrhundert), unterstand das Gebiet dänischen Königen. Ab dem 12. Jahrhundert kristallisierte sich jedoch eine Sonderstellung dieser Region heraus, die im Süden bis an die Eider reicht.

Diese Geschichte erscheint deutlich komplizierter als jene des Königreichs Dänemarks nördlich von Königsau (Schottburger Au) und Koldinger Förde. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Eroberung der Region durch das Königreich Preußen 1864. Mit diesem kam es 1871 zum Deutschen Reich. Nach dessen Niederlage im Ersten Weltkrieg wurde Nordschleswig erstmals zu einer eigenständigen Größe, als im Zuge einer Volksabstimmung eine neue Grenze gezogen wurde und eben dieser nördliche Teil der Region fester Bestandteil des Königreichs Dänemark wurde.

Stürmung der Düppeler Schanzen Foto: Deutsches Museum Nordschleswig

Zwar bemühte man sich ab 1920 erfolgreich um eine schnelle Anpassung des Landesteils an das übrige Dänemark. Doch nicht nur durch die Fortexistenz eines deutschen Bevölkerungsteils blieb diese zunächst als „de sønderjyske Landsdele“ bezeichnete Region eine gewisse Besonderheit. Die alten vier Verwaltungsbezirke blieben als Ämter Tondern, Hadersleben, Apenrade und Sonderburg bestehen. 

1970 wurden diese mit leicht veränderten Grenzen im Norden zur eigenständigen „Sønderjyllands Amtskommune“ zusammengefasst. Diese hatte zwar keine Sonderrechte gegenüber den übrigen 13 Amtskommunen, doch blieb in ihrem Wappen das alte Herzogtum Schleswig lebendig. 2007 wurde sie aufgelöst, doch markieren die heutigen Kommunen Tondern, Apenrade, Sonderburg und Hadersleben gewissermaßen in der Nachfolge der früheren Ämter immer noch die Besonderheit dieser historischen Region.

 

Warum Herzogtum Schleswig?

Der Name Nordschleswig bezieht sich auf die Zugehörigkeit zum alten Herzogtum Schleswig, wie die beschriebene Region zwischen Königsau und Eider jahrhundertelang offiziell genannt wurde. Die ersten regionalen Statthalter waren vom König beauftragte Heerführer zur Verteidigung des Gebiets, die als Jarl und später Herzog (lateinisch „dux“ von „ducere“: führen) für Jütland und später etwas konkreter für Süderjütland bezeichnet wurden.

Mit der Etablierung fester Strukturen als eigenständiges Territorium im 13. und 14. Jahrhundert ging der Name der Stadt Schleswig auf das gesamte Gebiet über. Schleswig war im Hochmittelalter nicht nur der mit Abstand wichtigste Handelsplatz weit und breit, sondern wurde auch Residenzstadt des fortan immer eigenständiger agierenden Herrscherhauses. Der Landesname betonte anders als vorher „Süderjütland“ zudem stärker die Eigenständigkeit.

Diese Landesherren wurden fortan als Herzöge bezeichnet. Sie waren nicht nur Militärbefehlshaber, sondern standen auch an der Spitze der Verwaltung. Die Schleswiger Herzöge in der Nachfolge König Valdemars II. ab 1241 bildeten eine eigene Dynastie als Nebenlinie zum dänischen Königshaus. Nach ihrem Aussterben 1375 übernahmen Holsteiner Grafen bis 1459 den nun fest etablierten Herzogsthron. 

In der Rangfolge standen Herzöge eine Stufe unter den Königen, was sich auch in den Wappen des Königreichs Dänemarks (drei Löwen) und des Herzogtums Schleswig (zwei Löwen) widerspiegelt. Der Titel des Kaisers stand noch über dem des Königs, während ein Graf unter einem Herzog stand. Dies bedeutete allerdings keinesfalls, dass ein Herzog immer einem König unterstellt sein musste.

Wappen Herzogtum Schleswig Foto: Deutsches Museum Nordschleswig

Herzogtümer als eigenständige Größen

1460 wurden die dänischen Könige wieder unmittelbare Landesherren über das Herzogtum Schleswig. Allerdings waren sie dies nicht in ihrer Stellung als König, sondern waren in Personalunion als Herzöge von Schleswig gewissermaßen sich selbst als König unterstellt. Die Zuständigkeitsbereiche waren jedoch klar voneinander getrennt. Zudem hatten die zunächst noch mächtigen Stände - namentlich die Ritterschaft (Adel) - einen engen Zusammenhalt Schleswigs und Holsteins durchgesetzt. Dadurch war der dänische König auch Graf (ab 1474 ebenfalls Herzog) von Holstein und in dieser Funktion dem deutschen Kaiser untergeordnet.

Diese Konstruktion hielt trotz mehrerer zwischenzeitlicher Landesteilungen Schleswigs und Holsteins unter mehreren Fürsten bis 1806 (Ende des alten deutschen Kaiserreichs) an. Mit nur wenigen Veränderungen wie der Ersetzung des Kaiserreichs durch den Deutschen Bund und der Personalunion auch mit dem Herzogtum Lauenburg blieb diese Ordnung sogar bis 1864 bestehen. Erst die Einverleibung in den preußischen Staat und ab 1867 die Umwandlung der drei Herzogtümer in eine preußische Provinz beendete die Existenz des Herzogtums Schleswigs als eigenständige Verwaltungseinheit, nicht aber die Besonderheit der Region.

 

Schleswig oder Sønderjylland?

Wahlplakat der deutschen Seite zur Volksabstimmung 1920. Aussage des Plakates: Man wehrt sich von deutscher Seite gegen den Begriff Südjütland, da dies impliziert, dass man zu der jütischen Halbinsel gehöre und somit zu Dänemark. Foto: Deutsches Museum Nordschleswig

Während der Landesteil zwischen Königsau und Staatsgrenze im deutschen Sprachgebrauch heute in der Regel „Nordschleswig“ genannt wird, bevorzugt man in der dänischen Sprache die Bezeichnung „Sønderjylland“. Der südliche, zu Deutschland gehörende Teil der historischen Region zwischen Staatsgrenze und Eider ist im deutschen Sprachgebrauch meist der „Landesteil Schleswig“ (nämlich von Schleswig-Holstein), während er im Dänischen als „Sydslesvig“ bezeichnet wird.

Diese unterschiedlichen Benennungen weisen schon auf den ersten Blick einige Widersprüche auf. Sie lassen sich durch die nationalen Konflikte zwischen Deutsch und Dänisch erklären, die während des zweiten Drittels des 19. Jahrhunderts immer deutlicher zu Tage traten und in den Kriegen 1848-50 und 1864 eskalierten. Auch wenn sich der Gegensatz ab 1955 entspannte, Dänemark und Deutschland seither in fast allen Bündnissen eng zusammenarbeiten und die grenzüberschreitende Region mit ihrer Minderheitenordnung gerne als Modell für vorbildliche Konfliktlösung gepriesen wird, wirkt der historische Konflikt bis heute nach - und das äußert sich nicht zuletzt in der Benennung der Region bzw. ihrer Teile nördlich und südlich der deutsch-dänischen Staatsgrenze.

Die Bezeichnung „Schleswig“ wird auch in der dänischen Fassung „Slesvig“ von vielen Dänen als deutsch empfunden, obwohl sie jahrhundertelang unter der dänischen Monarchie bis 1864 allein gültig gewesen war. „Sønderjylland“ betont umso stärker die Verbundenheit zu Jütland und damit zu Dänemark. Heute benennt man damit in der Regel nur den zu Dänemark gehörenden nördlichen Teil des alten Herzogtums, obwohl sowohl im Hochmittelalter als auch bis 1920 damit die gesamte Region gemeint war.

Im deutschen Sprachgebrauch wiederum betrachtet man Schleswig-Holstein als Einheit. Deshalb ist das ohnehin eine eigene Verwaltungseinheit darstellende Gebiet zwischen Eider und Staatsgrenze der „Landesteil Schleswig“. Die Bezeichnung „Nordschleswig“ betont die historische Verbindung des Gebiets nördlich der Grenze zu eben jenem Schleswig-Holstein.

Wer hingegen die Besonderheit der Region beiderseits der deutsch-dänischen Staatsgrenze hervorheben möchte, spricht von „Nordschleswig“ und „Südschleswig“ - und von „Schleswig“, wenn die gesamte historische Region gemeint ist. So gab es 1997 den Versuch, die damals neu eingerichtete grenzüberschreitende Euroregion nur „Schleswig“ zu nennen. Dies stieß in Teilen der dänischen Bevölkerung auf teilweise heftigen Widerstand, sodass man sich auf den Kompromiss „Region Sønderjylland/Schleswig“ einigte. 

Damit wird signalisiert (und dies umso stärker mit der zwischenzeitlich eingeführten Schreibung mit Bindestrich statt Schrägstrich), dass hier zwei verschiedene Landesteile - nämlich ein dänischer und ein deutscher - zu einer praktischen Zusammenarbeit gefunden haben. Der umständliche Doppelname wirkt wenig identitätsstiftend. Gleiches gilt für Konstruktionen wie „Landesteil Schleswig“ bzw. „Nördliches Schleswig-Holstein und Nordschleswig“ oder eben „Sønderjylland og Sydslesvig“. Diese klingen teilweise widersprüchlich, denn wo ein „Nord“ ist, muss auch ein „Süd“ sein. Zudem liegt „Sydjylland“ nördlich von „Sønderjylland“, denn damit wird der südliche Teil des eigentlichen Jütlands nördlich der Königsau bezeichnet. 

Häufig wird die Region schlicht als „Grenzland“ oder etwas weniger anonym als „schleswigsches“ oder „deutsch-dänisches“ Grenzland bezeichnet. Damit wird naturgemäß die vorrangige Bedeutung der Staatsgrenze für die Region hervorgehoben und weniger die gemeinsame Geschichte.

Somit zeigt sich schon allein an dem unterschiedlichen Sprachgebrauch, dass das Gebiet des alten Herzogtums Schleswig eine besondere Geschichte und eine besondere Identität besitzt, deren Erkundung nicht nur für die hier lebenden Menschen von hohem Interesse ist.