1933 - 1939 - Gymnasium

Die Nazifizierung der deutschen Minderheit

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Klasse Gymn. Oberstufe
Aufmarsch der Schleswigschen Kameradschaft in Sonderburg Foto: Deutsches Museum Nordschleswig

Anpassung an die Organisationsstrukturen in NS-Deutschland

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 färbte auch auf die deutschen Nordschleswiger ab, zumal die Hitler-Regierung - am gleichen Tag an die Macht gekommen, als in Dänemark die Stauning-Regierung mit der Opposition den als "Kanslergadeforliget" bekannten historischen Kompromiss eingegangen war - bald einige außenpolitische und (kurzfristige) wirtschaftliche Erfolge vorweisen konnte und dem Reich eine neue Dynamik zu bringen schien. Daraufhin bildeten sich schon bald auch in Nordschleswig mehrere NS-Gruppen. Die wichtigste war zunächst die 1933 gegründete Nationalsozialistische Arbeitsgemeinschaft Nordschleswig (NSAN).

Heft zum fünfjährigen Bestehen der NSAN Foto: Deutsches Museum Nordschleswig

Fakten

Jens Möller war ab 1934 der Parteivorsitzende der NSDAP Nordschleswig.

Zwischen den verschiedenen nationalsozialistischen Strömungen entscheid er den Machtkampf für sich. 

Auf Druck des mächtigen NS-Gauleiters von Schleswig-Holstein Hinrich Lohse schlossen sich diese 1935 zur Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei Nordschleswig (NSDAP-N) zusammen. Zwar blieb der gemäßigt konservative Johannes Schmidt-Wodder zunächst noch Reichstagsabgeordneter, doch der "Volksgruppenführer" war nun der NS-Parteichef, der Gravensteiner Tierarzt Jens Möller. Die Volksgruppe passte ihre Organisationsstrukturen immer mehr dem deutschen Vorbild an. Zum Beispiel wurde mit der "Schleswigschen Kameradschaft" (SK) ein Kampfbund nach dem Vorbild der "Sturmabteilung" (SA) gegründet. Die Partei und ihre Organisationen gliederten sich hierarchisch in Kreis- und Ortsgruppen.

Foto: Deutsches Museum Nordschleswig

Verschärfung der Gegensätze

Die "Gleichschaltung" der deutschen Minderheitenorganisationen im nationalsozialistischen Sinne hatte den Vorteil, dass man gegenüber der dänischen Seite als Einheit auftreten konnte. Bei der Reichstagswahl 1935 konnte der deutsche Wählerverein auch leichte Stimmengewinne verbuchen. Die Kehrseite war allerdings die Abkehr vieler Volksdeutscher von den Minderheitenorganisationen. Insbesondere Arbeiter in den Städten schlossen sich den dänischen Sozialdemokraten an, weil sie den Nationalsozialisten, die gleich 1933 sowohl die Arbeiterparteien als auch die Gewerkschaften ausgeschaltet und viele Mitglieder in Haft genommen hatten, wenig Vertrauen entgegen bringen konnten. Doch auch bürgerlich orientierte deutsche Nordschleswiger standen der NS-Bewegung oft skeptisch gegenüber. Bei der Kommunalwahl 1937 gingen die meisten deutschen Mehrheiten verloren, so auch in Tondern; nur in drei grenznahen Kirchspielsgemeinden gab es noch deutsche politische Mehrheiten.

Trotz groß angelegter Kampagnen zur Mobilisierung aller Deutschgesinnten zur Wahl der weiterhin als "Slesvigsk Parti" aufgestellten, nun von Möller angeführten deutschen Liste konnte der Stimmenanteil bei der Folketingswahl am 3.4.1939 nicht erhöht werden. Dabei hatte man mit über 15.000 Stimmen ein Rekordergebnis erzielt. Der im Endeffekt dennoch geringe Erfolg lag nicht zuletzt an der extrem hohen Wahlbeteiligung im Landesteil (92,4% gegenüber reichsweit 79,2%), denn die dänischen demokratischen Parteien konnten große Bevölkerungsteile nicht zuletzt deshalb zur Wahl motivieren, weil man bei einer Schwächung des dänischen Stimmenanteils erneute Forderungen nach einer Grenzrevision fürchten musste. Auch die dänischen Nationalsozialisten, die Dansk Nationalsocialistisk Arbejderparti (DNSAP) mit dem Bauruper Arzt Frits Clausen an der Spitze, die im Landesteil ihre Stimmenhochburg (auf allerdings niedrigem Niveau) hatte, stellten sich deutlich gegen eine Grenzverschiebung nach Norden.

 

Keine Grenzverschiebung

In der Tat blieb die Hoffnung auf Änderung der von vielen nach wie vor als ungerecht empfundenen Staatsgrenze von 1920 ein einigendes Band in der deutschen Volksgruppe in Nordschleswig. Die Hoffnungen auf eine Grenzrevision sollten jedoch bald enttäuscht werden. Da Hitler an einem guten Verhältnis zu Dänemark, dessen Bevölkerung nach der nationalsozialistischen Rassentheorie als ”nordisch” galt, interessiert war, stand eine Grenzverschiebung nicht auf dem Programm.

Wurfblatt zur Folketingswahl 1939 von der Schleswigschen Partei. Wobei die Schleswigsche Partei zur damaligen Zeit nur eine Listenbezeichnung gewesen ist. Hinter der Bezeichnung stand die NSDAP - Nordschleswig. Das Wurfblatt drückt die Hoffnung der Deutschen Minderheit aus, eine erneute Grenzverschiebung zu erreichen. Foto: Deutsches Museum Nordschleswig

Schon 1933 waren der damalige neue Flensburger NS-Oberbürgermeister Wilhelm Sievers und seine Anhänger von Gauleiter und Parteizentrale gemaßregelt worden, als sie eine baldige Grenzverschiebung nach Norden verkündet hatten - was als "Ostersturm" in die Geschichte einging.

Obwohl sich Hitler offiziell um Verständigung mit Dänemark bemühte und sogar einen Nichtangriffspakt einging, gab die zunehmend revisionistische und immer aggressivere Außenpolitik des Deutschen Reichs in Dänemark Anlass zur Sorge. Man hatte starke Garnisonen in Tondern, Sonderburg und Hadersleben. Auch die Entfernung des zweiten Gleises der Hauptbahn zwischen Pattburg und Tingleff entsprang strategischen Überlegungen. Auf der anderen Seite führte die Stauning-Munch-Regierung eine Politik gegenüber Deutschland, mit welcher man jede mögliche Provokation vermeiden wollte.

Daran änderte sich auch nichts, als die Kriegsgefahr 1939 immer ernster wurde. Spätestens mit der Einverleibung des tschechischen Reststaates im März 1939 als "Protektorat Böhmen und Mähren" unter NS-deutsche Herrschaft wurde unmissverständlich klar, dass Hitler sich keineswegs mit der Revision des Versailler Vertrags und der Vereinigung aller mehrheitlich deutsch besiedelten Gebiete zufrieden geben würde. Mit dem deutschen Angriff auf Polen am 1.9.1939 begann der Zweite Weltkrieg in Europa. Die deutsche Volksgruppe und deren NS-Führung lehnten sich angesichts der Erfolge des Hitlerreichs weiter eng an dieses; ein deutscher Machtzuwachs in Europa nährte die Hoffnung auf eine Grenzrevision. Dänemark musste fürchten, anders als im Ersten Weltkrieg ebenfalls in die Kriegshandlungen einbezogen zu werden. Man hielt an der bisherigen Neutralitätspolitik fest, konnte jedoch nicht den deutschen Einmarsch am 9.4.1940 verhindern.

Fakten

Historische Einordnung

  • Seit Ende 1929 weltweite Wirtschaftskrise mit hoher Arbeitslosigkeit
  • ab 30.1.1933 nationalsozialistische Regierung unter Adolf Hitler in Deutschland
  • Regierung Thorvald Stauning in Dänemark (1929-42) mit umfangreichen Sozialreformen
  • 30.1.1933 „Kanslergadeforliget“ in Dänemark, historischer Kompromiss zwischen Regierung und Opposition zur Überwindung der Wirtschaftskrise
  • Ab 1933 allmähliche Überwindung der Folgen der Weltwirtschaftskrise in weiten Teilen der westlichen Welt
  • Rekordergebnisse für die dänischen Sozialdemokraten bei den Wahlen 1935 und 1939
  • neben Dänemark blieben die anderen nordeuropäischen Staaten, Irland, Großbritannien, die Benelux-Länder, Frankreich, die Schweiz und die Tschechoslowakei demokratisch
  • ab 1935 zunehmend offensivere Außenpolitik des Deutschen Reichs, mit welcher vor allem als ungerecht empfundene Bestimmungen des Versailler Vertrags ungültig gemacht werden sollten; zudem zunehmende Aufrüstung
  • 1936-39 Spanischer Bürgerkrieg, Sieg des von Hitler und Mussolini unterstützten Generals Francisco Franco
  • 1938 "Appeasement"-(Beschwichtigungs-)Politik Großbritanniens und Frankreichs gegenüber Deutschland gipfelt am 29.9. im Münchner Abkommen, welches mehrheitlich deutsch besiedelte Gebiete der Tschechoslowakei dem Deutschen Reich zuspricht, das sich bereits Österreich angeschlossen hatte
  • 1939 nach Einverleibung des Memellands und des tschechischen Reststaates (als "Protektorat Böhmen und Mähren") weitere Konfrontation, welche Großbritannien und Frankreich mit Garantien für Polen beantworten
  • 1.9.1939 nach Abkommen mit der Sowjetunion deutscher Überfall auf Polen, daraufhin britische und französische Kriegserklärung an Deutschland; Dänemark weiter neutral

 

Info

Zum Weiterlesen:

Quellen zur deutsch-dänischen Geschichte: Ostersturm/Påskeblæsten

Alnor, Karl: Handbuch zur schleswigschen Frage

Alnor, Peter Christian: Der rote Mantel von Bülderup

Becker-Christensen, Henrik: Fra "mod hinanden" til "med hinanden", in: Schultz Hansen, Hans u.a. (Red.): Sønderjyllands historie indtil 1815. Apenrade: Historisk Samfund for Sønderjylland 2008, S.306-334.

Schultz Hansen, Hans: Mindretal og flertal i Nordslesvig omkring 1940, in: Bohn, Robert u.a. (Red.): Nationale mindretal i det dansk-tyske grænseland 1933-1945. Apenrade & Schleswig 2001, S. 122-141.

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Foto: BDN