1773 - 1848 - 7. Klasse

Nationalismus in einem vielsprachigen Herzogtum

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Ein weiteres Symbol der schleswigholsteinischen Bewegung - die Doppeleiche Foto: Deutsches Museum Nordschleswig

Erste Anzeichen nationaler Gegensätze

Die immer selbstbewussteren Bürger und Bauern fühlten sich Beamten aus anderen Ländern gegenüber fremd. Mit der Einführung des Indigenatsrechts 1776 wurde es ausländischen Hochschulabsolventen deutlich erschwert, eine Stellung im Staatsdienst der dänischen Monarchie einschließlich der Herzogtümer zu erlangen. Nur geborene Dänen durften diese Aufgaben übernehmen, wodurch Einheimische bevorzugt werden sollten. Da das Staatsrecht zunehmend komplizierter wurde, machte es durchaus Sinn, Juristen aus Kopenhagen oder Kiel in den Staatsdienst zu übernehmen. Unterschiede in der Rechtsauffassung sollten jedoch auch zwischen diesen zu zunehmenden Gegensätzen führen.

Für die dänische Monarchie waren die Französische Revolution von 1789 und erst recht die Napoléonskriege, die ab 1799 weite Teile Europas erschütterten, von einschneidender Bedeutung. Zunächst blieb die dänische Monarchie neutral, geriet aber zunehmend in einen Gegensatz zu Großbritannien. Großbritanniens Flotte griff zweimal - 1801 und 1807 - erfolgreich Kopenhagen an. Dies führte zwar zunächst zu einer Stärkung des Zusammenhalts. Nachdem 1806 das alte deutsche Kaiserreich endgültig aufgehoben wurde und der dänische König auch als Herzog von Holstein souverän wurde.

Wirtschaftlich wurde das Reich allerdings geschwächt. Vor allem der für die Städte - gerade auch die schleswigschen - so wichtige Seehandel wurde stark eingeschränkt. 1813 kam es zum Staatsbankrott. Bei der Begleichung der Staatsschulden fühlten sich die wirtschaftlich bisher stärkeren Herzogtümer betrogen.

Während Napoléon Bonaparte mit seinen Truppen zunehmend in die Defensive geriet, vermochte es König Frederik VI. nicht, rechtzeitig die Seiten zu wechseln. Im Herbst 1813 kam es zum offenen Krieg gegen die verbündeten Schweden, Russen, Preußen und Österreicher, der sich zum wesentlichen Teil in Holstein abspielte. Bei der verlustreichen Schlacht von Sehestedt in Südostschleswig am 10. Dezember 1813 konnten die Truppen des Gesamtstaats die feindlichen Verbündeten noch einmal zurückschlagen. Doch die Niederlage war nicht mehr aufzuhalten. Der Verlust Norwegens an Schweden im folgenden Kieler Frieden reduzierte die dänische Monarchie auf das eigentliche Königreich Dänemark, die fernen Außenbesitzungen am Nordmeer, die noch weiter weg liegenden Tropenkolonien und eben die Herzogtümer Schleswig und Holstein.

Ein letzter Aufschwung des Gesamtstaats

Nach den wirtschaftlichen Krisenjahren der Napoléonszeit und des Staatsbankrotts ging es bald wieder aufwärts. Vor allem Apenrade entwickelte sich zu einer der wichtigsten Hafenstädte. Für die immer größeren Schiffe war die relativ kurze und breite Apenrader Förde ein guter Anlaufpunkt. Um 1840 verfügten die Apenrader Reeder über ähnlich viel Schiffstonnage wie die Nachbarn im wesentlich größeren Flensburg. Doch verfügten sie über sehr viel weniger, dafür umso größere Schiffe. Sie profitierten ebenfalls vom Westindienhandel. Das alte Zollhaus am Apenrader Hafen zeugt von dieser Entwicklung.

Auch die Industrialisierung hielt allmählich Einzug. Traditionelle Früh-Industriezweige wie Ziegeleien und Mühlenbetriebe wurden zunehmend modernisiert. Ab den 1830er Jahren entstanden immer mehr Fabriken in Produktionsbereichen, die bisher handwerklich betrieben worden waren. Neben der Herstellung von Textilien und Genussmitteln waren dies auch erste Maschinenbaubetriebe und Eisengießereien. Mit der teilweisen Ausnahme von Flensburg blieben die Fabriken in den schleswigschen Städten jedoch eher klein. Dies galt selbst für Eisengießereien wie Stallknecht in Apenrade oder Meyland in Sonderburg.

Die sozialen Probleme nahmen zu. Das Bevölkerungswachstum trug dazu bei, dass immer mehr Menschen verarmten. Die Landwirtschaft der mit Abstand wichtigste Wirtschaftssektor, doch blieb die Zahl der Arbeitsplätze begrenzt. Eine übergeordnete Sozialpolitik gab es noch nicht. Die Städte und Gemeinden konnten es nur schwer hantieren, wenn immer mehr Menschen ihr seit 1736 verbrieftes Recht auf Fürsorge im Notfall in Anspruch nehmen mussten. Man versuchte, die Mittellosen in Armenarbeitsanstalten unterzubringen. Die erste entstand 1816 in Buhrkall. Doch erst eine vorbeugende staatliche Sozialpolitik ab den 1880er Jahren führte zu tragbaren Lösungen.

Auf der anderen Seite profitierten immer mehr Menschen von der guten wirtschaftlichen Entwicklung. Seit 1814 gab es eine Unterrichtspflicht. Das Schulwesen kam immer mehr jungen Menschen zu Gute. Es entstanden bürgerliche Vereine, in denen man unter anderem in Lesezirkeln neue Druckerzeugnisse austauschte. Auch in den Herzogtümern entstanden immer mehr Zeitungen und Zeitschriften. Viele Bürger begannen, über ihre Rechte im noch immer absolutistisch regierten Staat nachzudenken.

Schleswig und der beginnende nationale Konflikt

Nach dem Wiener Kongress von 1815 war die alte Ordnung in Europa weitgehend wiederhergestellt worden. Für die dänische Monarchie bedeutete dies, dass das Herzogtum Holstein nun wieder einem deutschen Staatsverband unterstand, und zwar dem neu aufgestellten Deutschen Bund. Gleiches galt für das neu zur Krone gekommene Herzogtum Lauenburg, das mit Preußen gegen Vorpommern eingetauscht worden war. Das man zuvor von Schweden als "Ersatz" für Norwegen erhalten hatte.

Dadurch hatte der "deutsche" Anteil deutlich mehr Gewicht am gesamten Staat der dänischen Monarchie erhalten. Die Deutsche Kanzlei wurde endgültig zur Oberbehörde für die Herzogtümer umgeformt und fortan "Schleswig-Holstein-Lauenburgische Kanzlei" genannt. Verstärkt wurde der deutsche Einfluss dadurch, dass alle Bundesstaaten eine landständische Verfassung haben sollten, was in Holstein (und auch nicht in Schleswig und nur sehr begrenzt in Dänemark) nicht der Fall war.

Allgemein

Grundbegriffe

• Gewaltenteilung:             Lehre, nach der die Herrschaft in einem Staat aufgeteilt sein soll in Legislative (= gesetzgebende Gewalt), Exekutive (= ausführende Gewalt) und Judikative (=rechtsprechende Gewalt).

• Kaisertums Napoleon:     Napoleon schuf ein erbliches Kaisertum in Frankreich.

• Nation:                            Eine Gruppe von Menschen mit gleicher Geschichte, Abstammung, Kultur und Sprache.

• Nationalismus:                Die Einstellung, dass die eigene Nation anderen überlegen ist.

• Menschenrechte:            Diese Rechte stehen allen Menschen von Geburt an zu. Beispielsweise Glaubensfreiheit oder das Recht auf Leben.

• Der Deutsche Bund:        Auf dem Wiener Kongress gegründeter deutscher Staatenbund.     

Kanzleipatent der genannten Schleswig-Holstein-Lauenburgischen Kanzlei betreffend der Musterung in den Herzogtümern Foto: Deutsches Museum Nordschleswig

Noch problematischer war, dass die Erfahrung der Hilflosigkeit selbst der größeren deutschen Staaten gegen Napoléons Eroberungsfeldzüge zum Entstehen der Idee eines großen deutschen Nationalstaats geführt hatte, welche auch bei Intellektuellen in den Herzogtümern unter der dänischen Krone Anklang fand. 

Eskalation des nationalen Gegensatzes

Im von mehreren Revolutionen erschütterten Jahr 1830 kam im dänischen Gesamtsaat Bewegung in die Verfassungsfrage. Uwe Jens Lornsen forderte in seiner Schrift “Ueber das Verfassungswerk in Schleswigholstein“ eine deutliche freiheitlichere Verfassung und eine klare Verwaltungstrennung zwischen Dänemark und den Herzogtümern. Erstmals wurden ab 1834/35 Ständeversammlungen im Königreich und den Herzogtümern eingerichtet. Diese ersten halbwegs modernen Parlamente in der dänischen Monarchie hatten zwar nur beratende Funktion. Sie wurden nur von wenigen Wahlberechtigten gewählt, konnten aber Anstöße zu Reformen geben. Sie entwickelten sich zudem zu einem Forum nationalistischer Ideen.

Gipsplatte mit dem Motiv Uwe Jens Lornsen Foto: Deutsches Museum Nordschleswig

Ab 1840 wurde die Sprachenfrage aktuell. Die Regierung wollte die dänische Sprache im Herzogtum der deutschen Sprache als Amtssprache gleichstellen. Fragen nach politischen Reformen wurden von nationalpolitischen Fragen in den Hintergrund gedrängt. Die Idee eines einheitliche Schleswig-Holstein im Deutschen Bund ohne Bindung an Dänemark wurde unter Deutschen immer populärer. „Up ewich ungedeelt“ wurde ihre Losung. Doch auch in Dänemark fand die Idee großen Anklang. Sie wünschten sich die Loslösung der deutschen Bundesstaaten Holstein und Lauenburg, dafür aber die vollständige Vereinigung Dänemarks und des Herzogtums Schleswig bis zur Eider.

In Schleswig hatte sich bis dahin niemand Gedanken über seine nationale Zugehörigkeit gemacht. Jetzt aber wurden sie von beiden Gruppierungen beeinflusst. Auf großen Versammlungen und Sängerfesten manifestierten sie in den 1840ern ihre Forderungen. Hier entstanden auch deutlich gegen den nationalen Gegenpart gerichtete Lieder, deren bekanntestes die erstmals 1843 in Schleswig vorgestellte heutige Landeshymne "Schleswig-Holstein meerumschlungen" ist.

Tuch mit Text des Schleswigholsteinliedes Foto: Deutsches Museum Nordschleswig

Auch Symbole wurden gefunden: Aus den Landesfarben der Herzogtümer schufen die Deutsch-Schleswig-Holsteiner eine blau-weiß-rote Trikolore, die anfangs noch gelbe Fransen hatte. Die dänische Bewegung benutzte die alte rote Königsfahne mit dem weißen Schrägkreuz.

Ein weiteres Symbol der schleswigholsteinischen Bewegung - die Doppeleiche Foto: Deutsches Museum Nordschleswig

Als der alternde König Christian VIII. 1846 seinen offenen Brief zur Erbfolge veröffentlichte, fühlte sich die Augustenburger Linie verschaukelt. Der keineswegs demokratisch gesinnte Herzog Christian August wurde zur Symbolfigur für die Schleswig-Holsteiner.

Damit überlagerte die nationale Frage, welche gleichzeitig zur Frage der Zugehörigkeit des Herzogtums Schleswig zu einem möglichen künftigen Nationalstaat wurde, die Frage nach politischen Reformen im Zuge einer besseren Mitbestimmung der Bürger. Der Funke, der den nationalen Konflikt zur Explosion bringen sollte, kam 1848 allerdings von außerhalb.

Fakten

Zeitliche Einordnung 

 

• 1766-1808                       Christian VII.

• 1776                                Amerikanische Unabhängigkeitserklärung

• 14. Juli 1789                    Sturm auf die Bastille  (Beginn der Französischen Revolution )

• 1789 – 1799                    Französischen Revolution

• 28. Aug. 1789                  Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte

• 1792-1815                       Napoleons Kriege

• 1803                                Dänemark verbietet den Sklavenhandel

• 1807                                Bombardierung Kopenhagens

• 1815                                Wiener Kongress